Im Mittelpunkt von Liu Zhengs über sieben Jahre gewachsener fotografischer Serie The Chinese steht der Mensch, seine Erscheinung und unmittelbare Umgebung als erweiterter Kosmos seiner Identität. Aus Misstrauen gegenüber einer stark tendenziösen offiziellen Geschichtsschreibung entwirft er, in einer Zeit des radikalen Umbruchs und rasanter Beschleunigung, sein eigenes Geschichtsbild. Liu Zhengs Entwicklung als Künstler fiel mit der Tendenz und Generation der ›New Documentary‹ zusammen, die sich durch eine konzeptuellere, experimentellere Herangehensweise auszeichnete, wobei sich das Interesse der Fotografen von formeller Berichterstattung verlagerte in Richtung eines persönlicheren und ungeschönten Blicks auf die chinesische Bevölkerung und deren Lebensumstände. Liu Zheng verfolgt diesen Ansatz Mitte der 1990er Jahre mit einer stringenten künstlerischen Strategie. Die fragilen, zerfallenden, einprägsam zur Schau gestellten oder trotzenden Körper werden dabei zu Zeugen wechselhafter Machtverhältnisse, wie menschliche Denkmäler stehen sie für die jüngere Geschichte Chinas und dessen erschöpfte ältere Traditionen, die durch Liu Zhengs Serie The Chinese nun nicht mehr im rapiden Wandel vergessen werden können.